Sonntag, 2. Oktober 2011

DER RAUSCH IM PLÄNTERWALD

„Es fährt kein Zug durchs nirgendwo...“


Urbane Freizeitgestaltung ist ein gutes Beispiel für den Versuch der Etablierung portionierten Vergnügens. Ein vorgesehener Bereich wird auserkoren, umzäunt, mit Parkmöglichkeiten umringt, den öffentlichen Verkehrsmitteln zugänglich gemacht und einem bestimmten Zweck gewidmet. Innerhalb dieses behüteten, meist auch bewachten, Gebiets soll Spaß angepflanzt, der Boden für Vergnügen urbar gemacht und Nutzen gezogen werden. Erwachsen soll indirekte Produktivität, also eine brave und ausgeglichene Produktionsgesellschaft und direkte Produktivität, also Einnahmen für Stadt und Wirtschaft. Zudem soll ein Platz entstehen, an dem Jugendliche ihre überschüssige Energie ausleben können, ohne das dafür nicht vorgesehene -weil ja dafür nicht geeignete - städtische Inventar benutzen zu müssen ...



Solange der territorialisierte Verwertungsbetrieb der ineinander verzahnten Produktionskomponenten reibungslos läuft und genug Sprit - die Stadt und ein paar Banken als Startkurbel und Anlasser, die Ausgaben der Besucher für den Eintritt, die Fahrgeschäfte und für heiße Würste und Erfrischungsgetränke als Kraftstoff - vorhanden ist, behält die Institution ihren Sinn und ihre Existenzwürdigkeit. Doch was passiert, wenn, wie im Fall des Herrn Norbert Witte der Mechanismus auseinander bricht und nur noch der unverwertbare Rest der ehemals Kinderaugen leuchtend machenden Attraktionen als Schrott in der nunmehr brachliegenden Landschaft verteilt liegt?



Zweierlei passiert: Zum einen wird das Gebiet zu einem Unexistenten: da die Natur all das ist, was das Menschliche nicht ist, existiert das von der Natur rückeroberte und vom Menschen nicht genutzte Terrain nicht mehr. Zum anderen wird es zum Schandfleck der Stadt. Denn wenn es doch genutzt wird, dann nur noch von schändlichen Individuen, die in ihm Unerwünschtes, gar Verbotenes treiben, was zur Folge hat, dass es – was noch schlimmer scheint – zum Sperrgebiet erklärt wird. So vegetierte der Spreepark von 2001 bis 2009 vor sich hin, von der Stadt zwar bewacht aber nicht beachtet ...




Seit 2009 engagierte sich das Team um Christopher Flade, der diesen Herbst gemeinsam mit dem Unterhaltungswissenschafter Dr. Sacha Szabo eine literarisch-wissenschaftliche Parkführung und -geschichte in Buchform veröffentlichen wird, in Eigeninitiative für den verwitterten Vergnügungspark. Geführte Touren werden organisiert, die den wildromantischen Charme des verschmähten Geländes aufzeigen und den Besuchern die immer noch im Äther schwirrende Heiterkeit näher bringen sollten – meist mit von der Partie ältere Herrschaften, die mit einem Tränchen im Auge noch das verhallte Kinderlachen zu hören meinten. Da diese Wochenend-Touren immer mehr bemerkt und freudig angenommen wurden, entschloss man sich Anfang 2011 das Gelände wieder für Veranstaltungen zugänglich zu machen. Es erfolgt gerade eine temporäre Festivalisierung dieser urbanen Brache, dieser sich im Taumel befindenden Subwelt ...



Es gibt bereits seit 2001 verschiedene Vorschläge, was aus dem Spreepark werden soll, aber bisher ist keiner verwirklicht worden. Dies liegt entweder an der Stadt Berlin, die den Plänen im Wege steht, oder an der Nichtdurchführbarkeit der Projekte. Nun, da der Spreepark durch die Initiative von ein paar freiwilligen Raum-Pionieren wieder auf der Bildfläche aufgetaucht ist, wird erneut darüber debattiert, was aus ihm werden soll. Der abgegraste Boden ist untergepflügt, frische Erde zum Vorschein gekommen. Und wieder wird urbar gemacht, bepflanzt und auf reiche Ernte gehofft. Es bleibt die Frage offen, ob nicht der unbeachtete, links liegen gelassene Vergnügungspark mehr Verwahrlosungs-Charme besessen hat als das, was jetzt wohl im Zuge der Kommerzialisierung dieser Flächen wieder aus ihm werden wird ...

Text: Adrian Flux und Michael-Franz Woels / Bilder: Adrian Flux


Zum Thema der Auftaktveranstaltung von urbani2e! 2011 – Urbane Vergnügungen – und als Ergänzung zum Schwerpunkt der neuen Ausgabe von dérive (Heft 45) veröffentlichten Adrian Flux und Michael-Franz Woels diesen Artikel über den Spreepark in Berlin.

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